Manuela König
Batterie auf vier Räder: E-Autos als privater Energiepuffer
Wenn Elektroautos stehen, können Modelle mit bidirektionaler Ladetechnik überschüssige Energie abgeben. Die Technik funktioniert, doch es gibt ein paar Hürden.

Aus dem Ofen in der Küche strömt noch heiße Luft. Bis eben stand ein Nudelauflauf im Backofen, der nun auf dem Esstisch steht. Die vierköpfige Familie Genster hat zum Abendessen im hell erleuchteten Raum Platz genommen, aus der Stereoanlage ertönt Musik. Die Energie für das alles kommt aus dem Auto in der Garage.
"Sobald die Sonne untergegangen ist, versorgt uns das Elektroauto beziehungsweise der Heimspeicher", sagt Familienvater Torsten Genster. Er lebt mit Frau und zwei Kindern in Windeck im nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg-Kreis. Wenn der 51-Jährige nach Hause kommt, schließt er seinen Nissan Leaf über einen Chademo-Stecker an die Wallbox. Dann fließt Energie aus den zwei PV-Anlagen in die 63-kWh-Batterie im Fahrzeugboden.
Eine PV-Anlage mit sechs Kilowatt Peak liegt auf dem Flachdach des Anbaus, im Garten hat die Familie noch mal 30 Quadratmeter Solarmodule auf einem Ständer installiert. Diese Anlage schafft in der Spitze sieben Kilowatt. Insgesamt erzeugen beide PV-Anlagen rund 10.000 kWh pro Jahr. Das ist in Summe mehr als genug für den Haushalt (etwa 4000 kWh) und den Bedarf des E-Autos. Für die rund 15.000 Kilometer braucht es jährlich etwa 3000 kWh. Warmwasser erzeugt die Familie per Solarthermie auf dem für PV ungeeigneten Dach des Wohnhauses.

Leider verteilt sich die Energieausbeute nicht gleichmäßig über das Jahr. In den dunklen Monaten muss Genster Energie hinzukaufen. Das summiert sich im Jahr auf 1000 bis 1200 kWh. Doch ab März reicht das Sonnenlicht aus, um das Haus komplett mit Sonnenenergie zu versorgen. Im Keller steht dazu ein stationäres Batteriesystem, ein Heimspeicher mit 10 kWh Kapazität. Die Größe ist so gewählt, dass Familie Genster den Bedarf eines Tages abdecken kann – so weit PV-Standard.
Im Auto steckt allerdings eine sechsmal so große Batterie. Sie verspricht also noch viel mehr Autarkie für sonnenarme Phasen. Um sie zu nutzen, ist eine bidirektionale Wallbox erforderlich – alles andere als PV-Standard. Tatsächlich gehört der Finanzbeamte mit seiner Installation zu den technischen Vorreitern. Gewerbliche Projekte, die das Potenzial bidirektionalen Ladens ausloten, gibt es einige. Im Privatbereich existieren erst wenige, vorsichtige Tests.
Auto als Speicher
Einer davon ist das Projekt "I-Rezept". Das Akronym steht für den etwas sperrigen Titel, der den Untersuchungsgegenstand mehr schlecht als recht beschreibt: "Intelligente rückspeisefähige Elektrofahrzeuge zur Eigenstrommaximierung und Primärregelleistungsmarkt-Teilnahme". I-Rezept soll untersuchen, welches Potenzial bidirektionales Laden für die Energiewende bietet. Genster war einer von 13 Haushalten bundesweit, die die bidirektionale Technik testen durften. Das Projekt ist bereits abgeschlossen. Die Auswertung der Ergebnisse steht noch aus.
Zu den Projektpartnern zählten Bosch Software Innovations und die Fraunhofer-Institute IAO und IFAM. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unterstützte das Projekt finanziell, der japanische Automobilhersteller Nissan stellte den Leaf sowie die DC-Wallboxen mit Chademo-Anschluss. Für diesen japanischen Ladestandard ist bidirektionales Laden schon länger implementiert. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima war Anlass, die Entwicklung der bidirektionalen Ladetechnik zu forcieren, um E-Autos als Notstromversorgung einzusetzen.
Chademo ist in Europa Geschichte, hierzulande wird nach CSS-Standard geladen. Dessen Norm für bidirektionales Laden (ISO 11518-20) haben die Gremien erst kürzlich verabschiedet. ID-Modelle von Volkswagen mit der 77-kWh-Batterie und Software ab Version 3.1 sind "BiDi ready". Auch der Renault Megane E-Tech wird den bidirektionalen Standard unterstützen.
Stand heute gilt es vor allem, regulatorische Hürden im deutschen Strommarkt auszuräumen, damit Privatleute Energie aus ihrem Fahrzeug über den Hausanschluss ins Stromnetz speisen dürfen (V2G, Vehicle to Grid). "Die gesetzlichen Vorgaben kennen nur Erzeuger, Transporteure und Verbraucher im Energiemarkt. Das Konzept eines Speichers hat sich noch nicht etabliert", sagt Marcus Fendt, Geschäftsführer von The Mobility House aus München im Gespräch mit c’t. Zusammen mit 16 weiteren Unternehmen aus der Automobil-, Energie- und Ladeinfrastrukturbranche gehört The Mobility House zur "Initiative Bidirektionales Laden".
Stationäre Energiespeicher sind bereits von Abgaben und Umlagen befreit. Für mobile Speicher, also Elektroautos, gelten diese Befreiungen nicht. "Wären mobile und stationäre Speicher gleichgestellt, wäre die Frage der Abgaben- und Umlagenbefreiung zu 90 Prozent geklärt. Zum anderen würden sich Geschäftsmodelle rechnen, die mobile Speicher systemdienlich einsetzen", sagt Fendt.

In Fendts Augen sollte der Gesetzgeber keine Unterscheidung bei Speichern vornehmen. Als weitere Hürde benennt die Initiative die Pflicht zum Einbau eines teilweise eichrechtskonformen Smart Meter inklusive Gateway: Die Geräte seien nicht in ausreichender Zahl verfügbar, ihr Einbau sei problematisch und mit hohen Kosten verbunden. Gemäß den aktuellen Vorschriften müssten Kunden bis zu drei separate Zähler für PV-Anlage, Heimspeicher und Auto installieren.
Wären diese Hürden genommen, ließen sich innovative Geschäftsmodell umsetzen. Private Fahrzeuge stehen einen Großteil des Tages ungenutzt herum. Wenn sie daheim oder auf der Arbeit mit einem bidirektionalen Ladepunkt verbunden sind, können sie als Pufferspeicher dienen oder die Netzfrequenz stabilisieren. Diese systemdienlichen Leistungen kann der Anbieter gegen Geld zur Verfügung stellen, und den E-Autobesitzer beteiligen.
We Drive Solar
Der Car-Sharing-Anbieter We Drive Solar nutzt die bidirektionale CSS-Erweiterung im niederländischen Utrecht für einen groß angelegten V2G-Test. Seit Ende April sind 25 Hyundai Ioniq 5 in der Stadt unterwegs, die Energie in beide Richtungen leiten. "Im Laufe des Jahres werden wir die Zahl der Ioniq 5 auf 150 erhöhen", sagt Robin Berg, Geschäftsführer von We Drive Solar. Das E-Auto des koreanischen Herstellers verwendet das leicht angepasste bidirektionale Protokoll der ISO-Norm für seine V2L-Funktion. Das L steht für "Load", eine elektrische Last, die wie im Haushalt mit Wechselstrom betrieben wird. Über eine Steckdose unter der Rückbank und einen Adapter im Ladeanschluss können Nutzer elektrische Geräte mit einem Schukostecker betreiben (3,6 kW Leistung).
In Utrecht geben die E-Autos während der Standzeit auf einer Phase bis zu 5 Kilowatt über das Typ-2-Kabel an das öffentliche Stromnetz ab. Die Nutzung der E-Autos als Energiespeicher soll den notwendigen Netzausbau in Grenzen halten. Wie der Name des Anbieters andeutet, erzeugt We Drive Solar auf insgesamt 25 Dächern öffentlicher Gebäude mit PV-Anlagen die Energie, die die derzeit 200 E-Autos in der Flotte antreibt.
